Episode 5: Qiu Miao Jin: „Aufzeichnungen eines Krokodils“ - Semi-fiktionale Tagebucheinträge einer lesbischen Hauptfigur
Worum geht es in dem Buch?
Eine heimliche Liebe wächst bis zur Besessenheit. Mit der Zeit entdeckt die Ich-Erzählerin Lazi, dass sie sich zu ihrer Kommilitonin Shui Ling hingezogen fühlt. Schlussendlich verliebt sich Lazi in Shui Ling, und es fällt ihr immer schwerer, Shui Ling zu vergessen.
In diesem Roman beschreibt die Schriftstellerin Qiu Miao Jin die Gedanken und Gefühlswelt einer jungen lesbischen Frau in den 1990er Jahre und was sie in den vier Jahren an der Universität in Taipeh erlebt hat. Die Gedanken der Protagonistin über ihr Leben und Geschlechterrolle kreieren eine melancholische Atmosphäre. Die Autorin kombiniert verschiedene Erzählformen wie beispielsweise Tagebucheinträge, Parabeln und Notizen miteinander. Als Leserin und Leser erfährt man auf diese Weise den Kern der Gedanken der Protagonistin, die die Menschen und das Leben als Studentin literarisch verarbeitet.
Es gibt eine besondere Figur im Roman: ein Krokodil, das im Keller lebt und sich als Mensch tarnt. Die Erzählung über ihn erscheint fragmentarisch. Die Menschen in den Fragmenten haben das Krokodil noch nie persönlich gesehen, sie fragen nach einem Bild von ihm und wollen mehr über es wissen, doch das Krokodil bleibt lieber zuhause. Das Krokodil erscheint als Metapher für die Protagonistin, die sich verschleiern möchte. Sie kämpft innerlich mit den sozialen Regeln und empfindet sich als fremd, so wie das Krokodil, das in den Fragmenten beschrieben wird.
Über die Erzählung und die Autorin
Die Schriftstellerin Qiu Miao Jin wurde 1969 geboren. Ihre Romane „Aufzeichnungen eines Krokodils“ und „Letzte Worte vom Montmartre“ zählen als bedeutende Queerliteratur in Taiwan. Der Roman „Aufzeichnungen eines Krokodils“ ist im Jahr 1994 erschienen. Die Werke wurden später ins Englische, Französische, Deutsche und weitere Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung von „Aufzeichnungen eines Krokodils“ ist im Jahr 2020 beim Verlag Ulrike Helmer erschienen. Eine andere Ausgabe wurde im Jahr 2024 beim Verlag Matthes & Seitz Berlin veröffentlicht. Die Übersetzung ins Deutsche hat Martina Hasse geleistet.
Was macht das Buch lesenswert?
Dieser Roman lüftet die innere Anschauung einer lesbischen Frau, die über traditionelle Geschlechterrollen und gesellschaftliche Rollenerwartung reflektiert. Die Protagonistin Lazi bringt als Ich-Erzählerin den Leserinnen und Lesern ihr Alltagsleben näher und zieht sie in ihre tiefe Besessenheit von der Kommilitonin Shui Ling hinein. Kaum ein Roman, der Mitte der 1990er in Taiwan erschienen ist, konnte in dieser Art nachvollziehbar über die Lebenssituation und Geschlechtsidentität der homosexuellen Frauen in Taiwan schreiben.
Die zeitlich nicht lineare Erzählung lässt die Grenze zwischen Realem und Fiktivem verschwimmen. Der Roman „Aufzeichnung eines Krokodils“ der Schriftstellerin Qiu Miao Jin kann nicht nur die Leserinnen und Leser begeistern, die sich für taiwanische Queerliteratur interessieren, sondern spiegelt auch die innerlichen Gedanken einer Frau wider, die mit ihrer weiblichen Geschlechtsidentität hadert. Durch die kunstvolle Fiktionalisierung halb-realer Erlebnisse und die intime Erzählweise, die einer Autobiographie ähnelt, ist dieser Roman der Schriftstellerin Qiu Miao Jin eine eindrucksvolle Reflexion queeren Lebens in der damaligen taiwanischen Gesellschaft.
Daten zum Buch
邱妙津
《鱷魚手記》
Erscheinungsjahr 1994
時報文化出版企業股份有限公司
Qiu Miao Jin
Aufzeichnungen eines Krokodils
Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung 2020
Ulrike Helmer Verlag
ISBN 978-3897414419
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
Erscheinungsjahr der deutschen Übersetzung 2024
Matthes & Seitz Berlin Verlag
ISBN 978-3751845045
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse