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Islam in Taiwan

  • 20-12-2023
Islam in Taiwan
Vorderansicht der Großen Moschee während des Freitagsgebets. (Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Die Große Moschee von Taipeh befindet sich westlich vom Da'an-Park. (Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Immer mehr Restaurants und Märkte in Taiwan bieten Halal-Essen an. (Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Nicht nur Beten: Die Großen Moschee ist ein Ort des Austauschs. Hier ein Vortrag im November 2022.(Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Wanduhren zeigen die muslimischen Gebetszeiten in Taiwan. (Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Eine Infotafel beschreibt die fünf Säulen des Islam auf Chinesisch. (Foto: Julian Thamm)
Islam in Taiwan
Gebaut im islamischen Stil ist die Große Moschee die älteste und größte ihrer Art in Taiwan. (Foto: Julian Thamm)

Der Islam ist bei einem Bevölkerungsanteil von nicht einmal zwei Prozent eine religiöse Minderheit in Taiwan. Von den rund 23 Millionen Einwohnern sind nur etwas über 300.000 Muslime. Trotzdem ist die Religion eng mit der Geschichte der Republik China auf Taiwan verbunden — und spielt heute eine wichtige Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

RTI-Reporter Julian Thamm hat sich den Islam in Taiwan genauer angeschaut und war zu Besuch in der Großen Moschee von Taipeh.

 

Willkommenskultur gegenüber Muslimen?

Aufruf zum Freitagsgebet in Taipeh. Hier im Zentrum der Stadt, unmittelbar gegenüber des Da'an-Parks, erstreckt sich die Große Moschee. Jede Woche kommen hunderte Musliminnen und Muslime her – um zu Beten und sich auszutauschen.

"Die Große Moschee von Taipeh ist die älteste und größte Moschee in Taiwan." Ismail Wang ist Leiter der Moschee. Er trägt eine Takke – das ist ein muslimische Kopfbedeckung – und einen Bart. Die Große Moschee, sagt er, ist eine von insgesamt elf Moscheen in Taiwan. Sie war die erste Moschee auf der Insel und gilt heute als Dreh- und Angelpunkt des Islam in Taiwan. Gebaut im islamischen Stil samt Minaretten und Kuppeln, sticht sie ins Auge. Irgendwie fremdartig, in einer Stadt, die sonst für ihre zahlreichen Tempel bekannt ist.

Die wichtigsten Religionen in Taiwan sind Buddhismus, Daoismus und die vielen Volksreligionen. Auch Konfuzianismus als religiöse Vorstellung ist hier zu nennen. Der Islam ist bei einem Bevölkerungsanteil von nicht einmal zwei Prozent hingegen eine religiöse Minderheit. Von den rund 23 Millionen Einwohnern sind nur etwas über 300.000 Muslime – und die meisten davon kommen aus dem Ausland.

Trotz dieser überschaubaren Größe ist der Islam eng mit der Geschichte Taiwans verbunden. Heute spielt die Religion eine ungeahnte Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

40.000 muslimische Hui kamen nach 1949 auf die Insel

Mit Ende des Bürgerkriegs in China floh der Militär Chiang Kai-shek mit der Kuomintang, der nationalistischen Partei – kurz KMT – Ende der 1940er nach Taiwan. Unter den Flüchtlingen waren rund 40.000 muslimische Hui-Chinesen, hauptsächlich Soldaten und Generäle der KMT. Die Hui sind, wie Han-Chinesen, eine ethnische Gruppe in China. Ihre Wurzeln reichen zurück zu den ersten Persern und Arabern, welche vor über 1000 Jahren ins Reich der Mitte kamen. Als sich die Nationalisten auf der Insel niederließen, gab es keine organisierte muslimische Gemeinschaft, erzählt Ismail Wang.

"Zum Zeitpunkt ihrer Ankunft gab es in Taiwan keine Moschee. Wie beten wir also an? Wie können wir beten? Sie sahen also, dass sie keinen Platz zum Beten hatten. Also bauten sie hier eine Moschee, die Taipeh-Moschee, und der englische Name war dann Taipeh Grand Mosque."

Ismail Wang führt mich durch die Räumlichkeiten. Rechts neben dem Eingang hängt eine Infotafel über die fünf Säulen des Islam. Alles auf Chinesisch. Direkt daneben sechs Wanduhren. Sie zeigen die Gebetszeiten. Fünf Mal am Tag sollen Muslime beten, das ist in Taiwan nicht anders. Gegenüber des Eingangs befindet sich der Hauptgebetssaal. Es scheint Sonnenlicht von links in den Saal hinein. Entlang der bogenförmigen Säulengänge links und rechts des Saales gelangt man zu den Waschräumen. Auch Büros und ein Garten befinden sich auf dem Gelände.

Der Bau der Moschee in der 1950ern wurde durch die Chinese Muslim Association, eine der wichtigsten muslimischen Organisationen in Taiwan, mit finanzieller Unterstützung aus dem Iran und Jordanien realisiert. Sie wurde für die muslimischen Flüchtlinge aus China errichtet, sagt Ismail Wang. Gleichzeitig war sie Teil der Bemühungen der KMT, die diplomatischen Beziehungen zu islamischen Ländern auszubauen. Die neue Republik China auf Taiwan musste sich schließlich auf der Weltbühne beweisen.

Trotz dieser Bemühungen blieb die Anzahl der Muslime auf der Insel relativ gering und nahm im Laufe der Zeit sogar ab: "Die meisten Muslime die damals vom Festland nach Taiwan gekommen sind, sind heute sehr alt oder sogar gestorben." Viele der Nachkommen hatten sich assimiliert und ihre religiösen Wurzeln verloren. Damit verlor der Islam ingesamt an Bedeutung. Doch das sollte sich Ende der 90er Jahre ändern.

Mehr Muslime dank Südwärtspolitik

Die damalige Regierung öffnete die Grenzen Taiwans für geringqualifizierte Arbeitskräfte aus Südostasien – ursprünglich rein aus wirtschaftlichen Gründen. Taiwan sollte weniger abhängig von der Volksrepublik China sein, seine Wirtschaft diversifizieren. Es war der Beginn der sogenannten Südwärtspolitik.

In Folge dessen kamen viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus Südostasien auf die Insel. Sie kamen um für Taiwans aufstrebende Mittel- und Oberschicht zu arbeiten, so Jens Damm, Sinologe und Taiwan-Experte an der Universität Tübingen: "Hier sind es insbesondere eigentlich ein Land ist da zu nennen, das ist Indonesien. Es sind sehr viele Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen aus Indonesien gekommen, die sowohl in den taiwanesischen Fabriken arbeiten, aber auch zuständig sind für Pflegedienste, Alterspflege, Pflege von kranken Leuten." Indonesien ist das Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung. Etwa 231 Millionen Muslime leben auf dem Inselstaat. Weltweit kommt somit fast jeder siebte Muslim aus Indonesien. Aber auch viele Malaysier, ebenfalls überwiegend muslimisch, kamen nach Taiwan.

Als die neuen Arbeitskräfte auf die Insel kamen, brachten sie ihren Glauben mit. Diese neue Gruppe von Muslimen war anders als die Hui-Chinesen. Sie kleideten sich anders, hatten andere Sitten. Der Islam wurde dadurch sichtbarer.

Mit der Zeit waren die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Südostasien nicht mehr wegzudenken, sagt Amtul Shahin. Sie ist Doktorandin an der Academica Sinica in Taipeh und der Universität zu Köln. Sie forscht über den Islam in Taiwan. "Die wussten: Okay, die Arbeitskräfte die kommen werden, werden Muslime sein. Also sollten wir eine Art, das ist jetzt ein deutsches Wort, Willkommenskultur haben ja die denen dann auch ermöglicht, hier angepasst sich angenommen zu fühlen oder willkommen zu fühlen. Und dafür haben sie eine Art, so eine politische Richtlinie eingeführt und policy ein Muslim friendly environment".

Heute ist die Gemeinde ein Schmelztiegel aus Nationalitäten, Ethnien und Kulturen. Und immer mehr ausländische Muslime kommen nach Taiwan.

Muslimfreundliches Umfeld

Auch Fathin kommt aus dem Ausland. Die Indonesierin ist Mitte 20 und lebt seit rund 6 Jahren in Taiwan, kam ursprünglich für das Studium auf die Insel. Auf ihrem Instagram-Account berichtet sie über das Leben in Taiwan als Muslima, gibt Tipps und Empfehlungen. Ihr Blog war ursprünglich für ihre Familie gedacht, mittlerweile erreicht sie damit tausende Menschen.

"Eigentlich wollte ich mit meinem Blog nur meiner Familie beweisen, dass Taiwan tatsächlich muslimfreundlich ist. Taiwan ist absolut in Ordnung für Muslime. Aber dann dachte ich, es kommen immer mehr muslimische Freunde für das Studium oder für die Arbeit nach Taiwan, da habe ich immer mehr gepostet."

Ich treffe Fathin abends auf einer belebten Straße nördlich des Da'an-Parks. In der Gegend gibt es viele Halal-Restaurants, auch wenn das nicht immer so war: "Früher gab es das nur in pakistanischen oder indischen oder türkischen Restaurants", erzählt Fathin, die ein Kopftuch und eine Brille trägt. Mittlerweile sei es viel einfacher geworden Halal-Restaurants und Lebensmittel zu finden. "In Taiwan gibt es sogar einen Laden für Halal-Rindfleisch. Genau. Wenn du also etwas kochst, kannst du ohne Bedenken Halal-Rindfleisch kaufen." Immer mehr Restaurants und Märkte werben mit ihrer Halal-Zertifizierung oder bieten muslimfreundliches Essen an.

Auch immer mehr muslimfreundliche WCs und Gebetsräume werden von der Regierung bereitgestellt. An vielen öffentlichen Orten, wie etwa Universitäten, Flughäfen und Hauptbahnhöfen oder Taiwans Wahrzeichen – dem Taipei 101 – befinden sich muslimische Gebetsräume. Vor allem in den letzten Jahren habe sich einiges getan.

"Die taiwanesische Regierung stellt buchstäblich alles zur Verfügung, was ein Muslim braucht. Auch wenn wir hier in Taiwan nur eine Minderheit sind, sie kümmern sich wirklich um uns.

In Taiwans muslimfreundlichen Kurs sind Restaurants und Gebetsräume allerdings nur der Anfang. Die Regierung unterstützt die muslimische Gemeinde auch in der Organisation von islamischen Festen. Feierlichkeiten in Parks oder etwa im Hauptbahnhof von Taipeh seien mittlerweile zu Traditionen geworden, sagt Amtul Shahin: "Zu diesen beiden Anlässen sind dann 20.000 bis 30.000 Menschen, die sich nur im zentralen Bahnhof zusammengefunden haben, dann weitere. Ich weiß nicht, wie viele Tausende im Park kommen und dann andere Orte. Und das ist alles von der Regierung in Zusammenarbeit natürlich mit dem muslimischen Community hier organisiert."

Diskriminierung

Obwohl Nicht-Muslime und Muslime weitgehend friedlich zusammenleben, kommt es hin und wieder zu Auseinandersetzungen. Nicht jeder Taiwaner ist mit der Religion vertraut, kennt ihre Regeln und Traditionen nicht oder missachtet diese: "Ich kenne eine indonesische Arbeiterin, welche mir erzählt hat, dass ihr Boss ihr nicht erlaubt hat halal zu essen. Der Boss sagte: 'Du kannst einfach das essen, was wir zu Hause haben.' Wenn sie Schweinefleisch gegessen haben, sollte sie auch Schweinefleisch essen."

Auch während der COVID-19-Pandemie kam es zu islamophoben Ausbrüchen in der taiwanischen Gesellschaft. Muslimischen Gastarbeitern wurde vorgeworfen, sich nicht an die Schutzmaßnahmen zu halten. Aber das seien wahrscheinlich Einzelfälle, so Jens Damm, einen großen islamophoben Diskurs gebe es in Taiwan nicht.

Abgrenzung von der Volksrepublik

Auf einer Pressekonferenz im September 2019 begrüßte Präsidentin Tsai Ing-wen Hadsch-Pilgerreisende nach ihrer Rückkehr in Taiwan. Einmal im Leben sollte ein frommer Muslim nach Mekka pilgern. Tsai Ing-wen gratulierte den Rückkehrern für dieses Erlebnis.

Für die neue Südwärtspolitik, sagt Tsai Ing-wen, seien die Muslime ein sehr wichtiger Partner gewesen, um den Austausch in Tourismus, Handel, Kultur und anderen Bereichen zu vertiefen. Die Regierung setze sich dafür ein, ein muslimfreundliches Umfeld zu schaffen. Man erhoffe sich, dass noch mehr Muslime nach Taiwan kommen. Auch in Zukunft werde man zusammenarbeiten, die Freundschaft zwischen Taiwan und den Muslimen ausbauen.

Seit ihrem Amtsantritt 2016 verfolgt Präsidentin Tsai Ing-wen eine neue Südwärtspolitik. Es geht nicht mehr nur um Arbeitskräfte aus dem Ausland, wie noch in den 1990er Jahren. Stattdessen stehen nun Tourismus und Handel, kulturelle Austauschprogramme und Human Development im Vordergrund. Und es wurde politischer. Mit der wachsenden Bedrohung aus China erscheint die Südwärtspolitik in einem neuen Licht. Während die Volksrepublik versucht Taiwan diplomatisch zu isolieren, hat sich die Democratic Progressive Party, kurz DPP, zur Aufgabe gemacht, die Beziehungen zu anderen Ländern in vielen Bereichen zu pflegen und auszubauen.

Mit der DPP wird Taiwan derzeit von einer Partei regiert, die sich auf die Fahne schreibt, dass es nicht zu einer Vereinigung mit der Volksrepublik China kommen wird. Das Hongkonger Modell wird abgelehnt. Stattdessen präsentiert sich Taiwan unter Tsai Ing-wen als Teil der freien Welt, so Jens Damm: "Als Teil einer multikulturellen Welt, einer multiethnischen Welt, einer multireligiösen Welt, auch als Gegenbeispiel natürlich immer wieder zur Volksrepublik China, spielt da sicherlich auch diese Toleranz gegenüber dem Islam eine große Rolle."

China sei in den letzten Jahren durch seine brutale Unterdrückung der Uiguren, der muslimischen Minderheit in der Region Xinjiang, weltweit in die Schlagzeilen gerückt. Dagegen könne sich Taiwan als tolerante, muslimfreundliche und liberale Alternative darstellen.

"Ich denke es gibt in den in den letzten Jahren einfach die Idee in Taiwan, dass man anders ist als die Volksrepublik China, dadurch, dass man eben, was ich erwähnt hatte, multikulturell multiethnisch ist. Dass man offen ist für andere Einflüsse, offen für andere Restaurants. Es gibt Halal-Märkte, beispielsweise, in Taiwan. Und dass man generell versucht hat, eine offenere Gesellschaft aufzubauen", sagt Jens Damm.

Zurück an der Großen Moschee. Es ist ruhig, als Ismail Wang durch den Eingangsbereich schlendert. Die taiwanische Regierung, sagt er, sei schon immer gut zu den Muslimen gewesen. Das habe mit Tsai Ing-wen und der DPP nichts zu tun.

Anfang 2024 sind Präsidentschaftswahlen in Taiwan. Das Ergebnis wird auch entscheiden, wie es mit der Südwärtspolitik – und damit in

Redaktion

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